Jahresverhandlungen in London gestartet: Zellstoffmarkt im „Reality Check“

Mitte November stellt sich der Zellstoffmarkt in Europa noch immer als weitgehend stabil dar. Die erwartete Trendwende, von der man seit Wochen spricht und auf die Einkäufer hoffen, geht bislang nur in sehr kleinen Schritten voran. Noch werden Nachfragerückgänge vonseiten der Dekor- und Feinpapierproduzenten kompensiert von anderen Verbrauchssegmenten, allen voran Tissue. Zellstoffverkäufer bieten zwar in typischen Spotmärkten erste Mengen an, bis jetzt aber noch zu relativ hohen Preisen und ohne größeren Verkaufsdruck.

Für nördlichen gebleichten Langfasersulfatzellstoff sind die Notierungen in Europa im September und Oktober um insgesamt rund 40 US$ gesunken und liegen jetzt am häufigsten bei 1.450 US$/t. Gebleichter Kurzfaserzellstoff hat sich nicht von der Stelle bewegt. Zuletzt haben auch der 3,5-monatige Produktionsstopp bei Ence in Pontevedra und die weitere Verzögerung von Araucos MAPA-Projekt um bald ein Jahr den Herstellern in die Karten gespielt. Die weitere Entwicklung ist allerdings mit vielen Unsicherheiten verbunden. Der Optimismus auf Seiten von Zellstoffproduzenten schlägt mittlerweile in größere Vorsicht um, Analysten und Berater äußern sich regelrecht pessimistisch in Bezug auf das nächste Jahr.

Der Gedanke an eine Marktabschwächung fällt insbesondere manchem Anbieter von Eukalyptuszellstoff schwer, nachdem die Preise in den letzten drei Jahren einen einmaligen Höhenflug erlebt haben, bei dem sie von 680 US$ im Oktober 2019 auf jetzt 1.380 US$/t hinauf katapultiert wurden. Die Gespräche während der Pulp Week in London im November waren deshalb auch ein „Reality Check“, erzählt ein Marktkenner, bei dem Einkäufer und Verkäufer ihre Erwartungen und teils sehr konträren Wahrnehmungen austauschen und anpassen mussten.

In gelöster Stimmung war die Branche während der traditionellen Woche nach den Corona-Jahren wieder persönlich zusammen gekommen und hat damit den Startschuss für die Jahresverhandlungen gegeben. Viele Teilnehmer waren auch nach London gefahren, um sich mehr Klarheit über die Situation auf den Papier- und Zellstoffmärkten zu verschaffen, die geprägt sind von den anhaltenden Kriegsgeschehnissen in der Ukraine, Energiekrise, Rekordinflation in Europa und Rohstoffengpässen. „Wir haben zwar keine Lösungen gefunden, aber unser Bild ist ein wenig klarer geworden“, sagte ein Gesprächspartner.

Nicht mehr zu ignorieren ist zum einen, dass sich die Nachfrage nach Papier in Europa seit Mitte dieses Jahres deutlich verschlechtert hat und es wenig Hoffnung darauf gibt, dass sich der Bedarf in speziellen Bereichen so schnell wieder erholt – egal ob es am Ende nur eine milde Rezession oder doch den Konjunktureinbruch geben wird. Aktuelle Statistiken spiegeln die Abschwächung wider: der Zellstoffverbrauch ist im Jahresvergleich gesunken. Marktexperten rechnen damit, dass sich diese Entwicklung fortsetzt. Daran werde auch die gute Situation bei Tissue nichts ändern können, heißt es.

Denn insbesondere bei Dekorpapieren und Feinpapieren sei die Auslastung in den Fabriken „katastrophal“, bestätigen Branchenvertreter. Den Herstellern zufolge wird das Jahr extrem schwach enden, bei manchen stehen temporäre Abstellungen in „historischem Umfang“ an, andere haben finale Maschinenschließungen angekündigt. Hintergrund sei eine Kombination aus schwacher Nachfrage und hohen Energie- und Holz- bzw. Zellstoffkosten. Für diese Akteure gleicht das Prognostizieren ihres Verbrauchs in 2023 dem Blick in die Glaskugel. Schon in diesem Jahr hatte sich mancher verkalkuliert und am Ende zu wenig Zellstoff unter Vertrag genommen als benötigt wurde. Dieses Mal könnte das genaue Gegenteil passieren. Manche Einkäufer gehen deshalb äußerst vorsichtig in die Vertragsverhandlungen.

Zum anderen führt kein Weg daran vorbei, dass sich das Zellstoffangebot 2023 bei den Kurzfaserqualitäten massiv erhöhen wird. Mit dem neusten Update Araucos über eine weitere Verzögerung des MAPA-Projekts, das aktuell Mitte Dezember abgeschlossen sein soll, und UPMs Ankündigung, mit den Tests am Rückgewinnungskessel im neuen Zellstoffwerk Paso de los Toros zu beginnen und die Produktion Ende März 2023 zu starten, werden die beiden neuen Eukalyptuszellstoffanlagen innerhalb kürzester Zeit in Betrieb gehen. Im Vollbetrieb werden sie zusammen mehr als 3,6 Mio t BEK produzieren können.

Ence hat zudem wie angekündigt mittlerweile wieder mit der Zellstoffproduktion in Pontevedra begonnen. Die Inbetriebnahme soll schrittweise erfolgen, heißt es, und im Dezember der Normalbetrieb erreicht sein.

„Der Markt wird 2023 zwangsläufig überversorgt sein. Und im ersten oder zweiten Quartal platzt dann die große Bombe“, fasst ein EUWID-Gesprächspartner zusammen. Darüber, wie stark die Zellstoffpreise sinken werden, sind sich Marktteilnehmer uneins. Schätzungen lauten, dass Durchschnittspreise etwa 150-200 US$ unter dem Niveau von 2022 liegen könnten. Damit würde die Untergrenze deutlich höher sein als es in der Vergangenheit der Fall war, da auch die Kosten in den Zellstofffabriken massiv gestiegen sind, so die Begründung.

Mit Spannung wird die nächste Verhandlungsrunde Ende des laufenden Monats erwartet. Viele befragte Papierfabrikanten wollen Preisreduktionen sowohl von ihren NBSK- als auch BEK-Lieferanten fordern, unterscheiden sich dabei allerdings in ihrem Mut und ihrer Zuversicht. Manche zweifeln daran, dass es bei Kurzfaserzellstoff vor 2023 überhaupt schon heruntergehen wird und vermuten, dass Langfaserzellstoff kurzfristig günstiger sein könnte. Dann würde der Druck auf die Anbieter von Eukalyptuszellstoff jedoch mit jeder Korrektur bei Langfaserzellstoff zunehmen, ist sich ein Kenner sicher, bis sich die Differenz zwischen den Sorten dann im ersten Quartal wieder normalisiert hat.

Weltweite Zellstofflieferungen
im Oktober rückläufig

Die weltweiten Zellstofflieferungen haben sich von September auf Oktober um insgesamt 485.000 t auf 4,317 (Sept. 22: 4,802) Mio t reduziert. Dabei sind laut Pulp and Paper Products Council fast ausschließlich die Lieferungen an gebleichtem Kurzfaserzellstoff zurückgegangen: und zwar um 474.000 t auf 2,249 (2,723) Mio t. Gegenüber Oktober 2021 ergibt sich ein leichtes Plus von 96.000 t bzw. 2,2 %. Am stärksten war der Rückgang mit -121.000 t auf 1,362 Mio t nach China, gefolgt von Nordamerika, wo sich die Lieferungen um 101.000 t auf 611.000 t reduzierten. Nach Westeuropa wurden im Oktober mit 1,030 Mio t rund 83.000 t weniger geliefert als noch im September und für die Region Übriges Asien/Afrika wird ein Minus von 92.000 t auf 674.000 t berichtet.

Die weltweiten Vorräte der Zellstoffproduzenten erhöhten sich laut PPPC-Statistik von September auf Oktober um 1 auf insgesamt 43 Bestandstage. Dabei geht die Entwicklung mit +1 auf 44 Bestandstage ebenfalls ausschließlich auf gebleichten Kurzfaserzellstoff zurück. Für gebleichten Langfaserzellstoff reduzierten sich die Vorräte um 1 auf 42 Tage.

Die europäische Papierindustrie hat im September wieder etwas mehr Zellstoff verbraucht als im August. So ist der Konsum Utipulp zufolge im September um 42.000 t auf 958.000 (Aug. 22: 916.000) t angestiegen. Gegenüber dem Vorjahr zeigt sich allerdings eine Abschwächung. Im entsprechenden Vorjahresmonat verarbeiteten die Papierhersteller noch 1.015.000 t und damit rund 57.000 t mehr als in diesem Jahr.

Die Bestände in den europäischen Papierfabriken sind im September um 16.000 t auf 661.000 (645.000) t angestiegen und verharren damit bei 20 Bestandstagen. Sie lagen etwa 17.000 t unter dem Wert im September 2021.

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